Frankfurter Rundschau:Herr Professor Schumann, so tief wie
Ex-VW-Vorstand Peter Hartz ist wohl noch kein deutscher Topmanager im
Ansehen abgestürzt. Wenn er nun verurteilt wird, bleiben dann nur
Bettgeschichten, Schmach und Häme?
Michael Schumann: Ich
hoffe nicht. Sicher, es gab schwerwiegendes Fehlverhalten. Peter Hartz
hat es im Prozess selbst eingeräumt. Zudem war sein Ausflug in die
große Politik nicht gerade von Erfolg gekrönt. Aber es wäre nicht
gerechtfertigt, darüber die beachtlichen Leistungen, die mit seinem
Namen verbunden sind, zu vergessen.
Die da sind?
Zum
Beispiel hat er 1993/94 die Vier-Tage-Woche bei VW eingeführt, die 30
000 Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahrte - und dies gegen den zum
Teil beachtlichen Widerstand auch vieler nicht bedrohter
Belegschaftsmitglieder, die dafür ja einige Einschränkungen in Kauf
nehmen mussten. Wichtig ist auch das Projekt "Auto 5000". Es stellt den
bisher erfolgreichsten Weg dar, in der deutschen Autoindustrie neue
Jobs zu schaffen und sie mit bisher 3800 vorher Arbeitslosen zu
besetzen. Es sind Arbeitsplätze in einer bei VW entwickelten
zukunftsfähigen, innovativen Fabrikorganisation.
Der
Hartz-Verteidiger wies im Prozess auf die besondere Art der
Mitbestimmung bei VW hin. Der Betriebsrat betreibe eine Art
"Co-Management". Viele sagen: Das Ergebnis waren nur hohe Löhne, die
der Konkurrenzfähigkeit des Konzerns schadeten.
Die hohen
Löhne bei VW sind das Ergebnis der Käfer-Erfolgsgeschichte. Da war viel
Verteilungsmasse. Die Schwierigkeiten, von diesem hohen Plateau wieder
abzusteigen - ein für Deutschland ja insgesamt immer wichtiger
werdendes Problem - wurden bei VW weitgehend konfliktfrei bewältigt.
Die Regelungen bei "Auto 5000" und der 2006 geschlossene
VW-Tarifvertrag stehen für gute Konsenslösungen. Bei "Auto 5000" wurden
bei Lohn und Arbeitszeit Zugeständnisse gemacht für neue Jobs und eine
anspruchsvollere Arbeit; beim neuen Tarifvertrag wurden längere
Arbeitszeiten für Standort-Sicherungen verabredet. Das wurde nicht
zuletzt durch die Mitbestimmung möglich.
Mit den zwei Millionen, die Hartz dem damaligen Betriebsratschef Volkert zuschusterte, hat das alles nichts zu tun?
Die
Probleme entstanden erst dadurch, dass es zu wenig Kontrolle gab.
Darauf, dass Kontrollmechanismen fehlten, hat der Hartz-Verteidiger im
Prozess ja selbst hingewiesen. Es war kein Fehler, den VW-Betriebsrat
an strategischen Unternehmensentscheidungen - wie Betriebsverlagerungen
und Investitionen - zu beteiligen. Es geht dabei schließlich um für die
Beschäftigten höchst wichtige Grundsatzfragen.
Volkert wurde nicht bestochen?
Falsch
war, den Betriebsrat wegen der damit erhöhten Aufgabenvielfalt und
Verantwortung gleich dem Management zuzurechnen. Meines Erachtens ging
es Hartz dabei nicht um Bestechung des Betriebsrates. Sein
Kardinalfehler lag darin, die Gleichsetzung von Managern und
Interessenvertretern anzustreben - wie wir wissen,contra legem.
Unterschiede bei Aufgaben, Status und Milieu sollten nicht mehr gelten.
Hartz hob Volkerts Entgelt auf Topmanager-Niveau an.
VW und
die anderen Autokonzerne haben Werke in Osteuropa gebaut. VW geht nun
nach Russland. Wie kann Autoproduktion denn in Deutschland gehalten
werden?
Dass die Produktion zunehmend in die Abnehmer- und
Niedriglohnländer verlagert wird, ist unaufhaltbar. Die Abnehmer
fordern es und die weltweite Verfügbarkeit entsprechender Ressourcen
ermöglichen es. Für Deutschland stellt sich das Problem, dabei nicht
unter die Räder zu kommen. Durch Verbesserungen bei Produktivität,
Zuverlässigkeit, Qualität und Innovationsfähigkeit kann man den
Standort auch in den Massenmärkten behaupten. Denn eines ist klar: Der
Abwanderung der Produktion würde über kurz oder lang auch der Verlust
der Forschung und Entwicklung folgen.
Welche Chancen gibt es?
Gerade
Hartzens "Auto 5000" bietet Chancen - für Volkswagen, aber auch für
andere deutsche Autounternehmen. Dabei geht es nicht darum, dieses
Modell eins zu eins zu übertragen. Entscheidend bei "Auto 5000" ist:
Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit wurde dadurch erreicht, dass
alle Beschäftigten aktiviert wurden - nicht durch gute Worte, sondern
durch reale Vorteile, also Verbesserungen in der Arbeitsorganisation.
Besonders wichtig ist dabei das produktive Zusammenspiel zwischen
Führung und Mannschaft, zwischen Ingenieuren, Technikern und Arbeitern.
Gerade in Deutschland lässt sich durch diese kreative Kombination
bisher abgeschotteter Know-how-Träger und Statusgruppen viel erreichen.
Es entstehen neue Optionen für Produktivitätsentfaltung und
Innovationen.
Interview: Joachim Wille