6.2.2012
Tagungsdokumentation

Spaltung der Arbeitswelt – Prekarität für alle?
Konzepte und Befunde zu neuen Konturen der Arbeitsgesellschaft, SOFI Work in Progress, 1. bis 2. Februar 2012, Göttingen

Meike Baas, Patrick Feuerstein, Barbara Heil


Lassen sich neue Konturen der Arbeitsgesellschaft erkennen – und wie sehen sie aus? Haben wir es mit einer zunehmenden Spaltung in „stabile Kerne“ und „prekäre Ränder“ zu tun – oder hat die „allgemeine Verunsicherung“ längst auch die „Mitte der Gesellschaft“ erfasst? Diesen Fragen wurde in der Konferenz  nachgegangen. Sie ist auch als Auftaktveranstaltung einer Veranstaltungsreihe „SOFI Work in Progress“ intendiert, die dazu beitragen soll, der wissenschaftlichen Debatte über Entwicklungstendenzen zeitgenössischer Arbeits- und Erwerbsgesellschaften ein Mehr an Kontinuität und Kohärenz zu verleihen.


Zum Auftakt der Diskussion präsentierten Peter Bartelheimer und Berthold Vogel ihre konträren Positionen im Panel „Geht der Arbeitsgesellschaft die Teilhabe aus?“ (Moderation: Stephan Lessenich, Universität Jena). Peter Bartelheimer (SOFI) plädierte dafür, Prekarität als kollektiven Lagebegriff zu verwenden, mit dem die Unterschreitung von Standards planbarer selbstbestimmter Lebensführung beschrieben wird. Diese Zone der Verwundbarkeit zeichne sich durch drei Charakteristika aus: erstens durch Erwerbsverläufe und  pfade mit nicht „vorsorgefähigen“ Beschäftigungsformen und dauerhaft eingeschränkter Teilhabe, zweitens durch (fürsorgeähnliche) Grundsicherung als prägender Form sozialer Sicherung und drittens durch einen fehlenden Ausgleich des prekären Potentials von Erwerbsarbeit durch Haushalt, Familie oder soziale Nahbeziehungen. Diese Zone der Verwundbarkeit sei zwar nicht homogen genug, um von Klasse, Milieu oder Schicht zu sprechen, aber klar von einer Zone der Integration abzugrenzen. Berthold Vogel  (Hamburger Institut für Sozialforschung/SOFI) schlug hingegen vor, mit dem Prekaritätsbegriff zeitdiagnostisch auf neue Unsicherheiten in der Mitte der Gesellschaft, d.h. unter (beruflich) qualifizierten Beschäftigten und Selbständigen abzuheben. Prekäre Beschäftigung gefährdet den sozialen und betrieblichen Status und attackiert normative Standards von Arbeit sowie damit verknüpfte Professionalitätsorientierungen. Exemplarisch zeige sich das im öffentlichen Sektor. Bilanzierend führte Vogel aus, dass wir es mit Blick auf die Arbeitswelt zwei Entwicklungen verfolgen können: einerseits einen enormen Bedeutungszuwachs der Erwerbsarbeit als Ressource für Anerkennung, Teilhabe und Position, andererseits einen gravierenden Substanz- und Verbindlichkeitsverlust von Arbeit durch Formen wie Leiharbeit und Niedriglohnsektor.


In den Kommentaren zu den Vorträgen betonte Alessandro Pelizzari (Union Syndicale Cantonale, Genf) sowohl die Heterogenität der klassen- oder milieutheoretischen Verortung sowie der Gestaltungsressourcen von prekär Beschäftigten als auch die Heterogenität der Situation in unterschiedlichen Teilarbeitsmärkten. Aus gewerkschaftlicher Perspektive forderte er eine Antwort auf die Frage: „wen organisiert man genau in der Zone der Vulnerabilität?“, um etwa Solidarisierungspotentiale abschätzen zu können. Christina Klenner (Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf) betonte, dass die Diagnose „Prekarität“ nicht nur vom Erwerbskontext abhänge, sondern auch von Gestaltungsressourcen und Gender-Arrangements im Haushalt, weil erst ihr Zusammenwirken entscheide, ob sich prekäres Potential realisiere, und so die Ungleichheiten zwischen spezifischen Konstellationen verstärke. Im Lebenszusammenhang könne etwa auch erzwungene Vollzeiterwerbstätigkeit prekäre Dimensionen in Form von Kinderbetreuungslücken haben. Natalie Grimm (Hamburger Institut für Sozialforschung) hob hervor, dass es sich bei der sich etablierenden „Zwischenzone“ der Prekarität nicht um ein abgekoppeltes Arbeitsmarkt-Segment handele. Vielmehr würden Personen unterschiedlichster Qualifikation unter erheblichen Anstrengungen immer wieder phasenweise Teil des ersten Arbeitsmarktes, fänden jedoch für sich keine dauerhafte gesellschaftliche Position. Dies führe zu Statusinkonsistenz und somit zu Problemen der Zugehörigkeitsdefinition und einer mangelnden Planbarkeit von Lebenswegen.


Anders als im ersten Panel, in dem die Diagnose einer Spaltung der Gesellschaft zurückgewiesen und Prekarität auf unterschiedliche Weise als heterogene soziale Lage beschrieben wurde, dominierte in den Vorträgen des zweiten Panels „Übergänge wohin? Bildungssystem und Arbeitsmarktsegmentation“ (Moderation: Volker Baethge-Kinski, SOFI)der Verweis auf zunehmende vertikale Spaltung und Ausschlussprozesse.


Heike Solga (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) konstatierte, dass das Berufsbildungssystem für leistungsschwache Jugendliche nicht mehr integrativ sei und langfristige Ausschlussprozesse verfestige. Die Ursache für den Ausschluss werde gemeinhin individualisiert („mangelnde Ausbildungsreife“), liege aber vor allem in gestiegenen fachlichen Anforderungen in den Berufen (upskilling-Prozesse), aber auch im Verlangen nach immer höheren formalen und informalen Zertifikaten (upgrading-Prozesse). Als Lösungen schlug Heike Solga eine Änderung der  Rekrutierungspraktiken der Betriebe, die Flexibilisierung von Lernzeiten in der Ausbildung sowie eine Modularisierung der Berufsbildung vor. Auch Veränderungen in der Schule seien notwendig: der mittlere Abschluss müsse zum Regelabschluss werden, denn „das Recht auf Hauptschlussabschluss heißt: Recht auf Armut“. Grundsätzlich habe man es mit einer polarisierenden Bildungspolitik zu tun, weil etwa das „Übergangssystem“ die im dreigliedrigen Schulsystem erzeugte Spaltung konserviere. Bettina Kohlrausch (SOFI) konzentrierte sich auf den Übergang von der beruflichen Bildung in die Erwerbsarbeit und stellte dar, dass in bestimmten beruflichen Segmenten eine Ausbildung immer weniger vor Arbeitslosigkeit schütze. Parallel zu dieser abnehmenden Schutzfunktion des Ausbildungsberufs werde schon der Zugang zu beruflicher Bildung (trotz der Ausweitung des Übergangssystems) nicht einfacher: der Anteil von Ausbildungslosigkeit sinke trotz Übergangssystem nicht – vielmehr mache das Übergangssystem die Berufsbildung deutlich selektiver. Auch sie plädierte für eine Modularisierung der beruflichen Bildung.


An die Vorträge schlossen auch in diesem Panel drei Kommentare an. Michael Ehrke (Universität Lüneburg) warnte vor negativen Konsequenzen der Modularisierung und kritisierte, dass der Zugang zu beruflicher Bildung von wirtschaftlichen Zyklen abhängig bleibe, weil dies politisch nicht verhindert werde. Sozialer Ausschluss sei das Resultat polarisierender Politik in Form mangelnder Regulierung. Udo Philipus (Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Technologie, Erfurt) bestätigte für das Bundesland Thüringen Solgas Einschätzung, dass der demographische Wandel nicht automatisch zu einer besseren Integration leistungsschwacher Jugendlicher führe, und stellte Maßnahmen der Berufseinstiegsbegleitung zum Zweck einer Förderung der Berufsorientierung mit Praxisaufenthalten in Thüringen vor. In Bezug auf das Bildungssystem sprach sich Wolfgang Vogelsänger (Integrierte Gesamtschule Göttingen) gegen eine Diskussion über institutionelle Veränderungen aus, die sich auf Türschildpolitik beschränkten. Derzeit gebe es keine Verständigung darüber, was Schule leisten solle – vielmehr werde hingenommen, dass die Kategorisierung im Rahmen des dreigliedrigen Schulsystems Exklusion fördere. Auch er plädierte für eine institutionelle Absicherung der Individualisierung von Lernprozessen, die einer sozialen Spaltung entgegen wirken könne.


Das Panel „Umkämpfte Reproduktion“ (Moderation: Karin Gottschall, Universität Bremen) eröffnete den zweiten Konferenztag. Nicole Mayer-Ahuja (SOFI) wandte sich in ihrem Referat gegen die Annahme einer allgemeinen Prekarisierung von Arbeitskraft-Reproduktion. Vielmehr sei in zweierlei Hinsicht eine Ausdifferenzierung von Reproduktionsstandards festzustellen: Zum einen wirkten sich unterschiedliche unternehmerische Strategien von Personaleinsatz (etwa in IT- versus Reinigungsbranche) auf Notwendigkeiten und Möglichkeiten von Arbeitskraft-Reproduktion aus. Zum anderen seien Letztere durch unterschiedliche Szenarien der ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Regulierung von Reproduktion beeinflusst, was wiederum Formen betrieblicher Arbeitskraftnutzung (etwa bei deutsch-indischer Softwareprogrammierung) präge. Allerdings gebe es durchaus Hinweise auf eine Polarisierung zwischen verschiedenen Reproduktionsmustern, etwa weil reguläre „Kernarbeitszeiten“ und Arbeitsplatzsicherung im IT-Bereich sich direkt in Nachtarbeit und Kostensenkungsprogrammen bei privaten Reinigungsfirmen niederschlügen. Kerstin Jürgens (Universität Kassel) konzentrierte sich in ihrem Vortrag stärker auf den deutschen Kontext und erläuterte ihre These einer Reproduktionskrise. Dies beinhalte zunehmende Schwierigkeiten der Subjekte, sich angesichts weitreichender Veränderungen der gegenwärtigen Arbeitswelt (etwa im Zeichen von „Subjektivierung“ oder „Flexibilisierung“) angemessen zu reproduzieren. Vor diesem Hintergrund konstatierte sie eine generelle Prekarisierungstendenz in Form einer allgemeinen Krise des deutschen Reproduktionsmodells, aber durchaus auch Polarisierungstendenzen zwischen verschiedenen Gruppen, die etwa prekäre Arbeitskonstellationen in unterschiedlichem Maße ausgleichen könnten und daher unterschiedliche Möglichkeiten zur Reproduktion aufwiesen.


Der zweite Teil des Panels widmete sich dann stärker empirischen Untersuchungen zu Veränderungen im Bereich der Reproduktion anhand konkreter Branchenbeispiele. So wies Diana Auth (Universität Gießen) anhand einer empirischen Überprüfung der von Jürgens aufgeworfenen These einer Reproduktionskrise auf gegenwärtige Polarisierungs- und Prekarisierungstendenzen im Bereich der Pflegearbeit hin. Die Entscheidung, die Pflegeversicherung als Grundsicherung bzw. Teilkasko-Versicherung zu organisieren, kritisierte Auth ebenso als Teil einer polarisierenden Politik wie den fortschreitenden Rückzug öffentlicher Anbieter aus dem Bereich der ambulanten Pflegedienste und Pflegeheime sowie die Zulassung von mehr Anbietern als es der Nachfrage entspreche. Die Konsequenz seien zum einen prekäre Arbeits  und Reproduktionsbedingungen unter den Pflegenden, zum anderen eine Polarisierung unter den zu Pflegenden: Nicht jeder Haushalt könne sich eine osteuropäische Pflegerin leisten, aber die Aufgabe von (weiblicher) Erwerbsarbeit zu Pflegezwecken gehe zurück – wer also „schultert Pflege allein, ohne auf Erwerbsarbeit verzichten zu können“? Den Abschluss des Panels bildete ein Vortrag von Friederike Bahl und Philip Staab (Hamburger Institut für Sozialforschung) zur Herausbildung eines „Dienstleistungsproletariats“.  Argumentiert wurde, man müsse die alte Frage nach Mechanismen der Polarisierung neu auflegen. Zwar sei Polarisierung im Dienstleistungsbereich (anders als etwa von Kern und Schumann in der Industrie festgestellt) nicht unbedingt mit technischer Rationalisierung verbunden und finde nicht unbedingt im Betriebskontext statt, doch seien durchaus neue Polarisierungslinien erkennbar – etwa zwischen Kopf  und Handarbeit (weil Letztere die physische Reproduktion in weit höherem Maß in Frage stelle) oder aufgrund der ungewöhnlich großen „Staatsnähe“ des Dienstleistungsproletariats, das weit öfter als andere Beschäftigtengruppen auf Mindestlöhne, aufstockende Sozialleistungen oder Grundsicherung im Alter angewiesen sei.


Die vier Beiträge des interdisziplinären Panels „Arbeits- und Gesellschaftsvertrag“ (Moderation: Berthold Vogel) waren von der Frage nach der rechtsprägenden Macht der Gesellschaft und der gesellschaftsprägenden Kraft des Rechts auf unterschiedlichen Regulierungsebenen geprägt.
Peter Kalkowski (SOFI) verdeutlichte, dass der auf stabiler Erwerbsarbeit beruhende Gesellschaftsvertrag und seine sozialstaatlichen Absicherungssysteme durch die Flexibilisierung und Pluralisierung des Arbeitsvertrags und die Erosion des Kollektivvertrags instabil und brüchig geworden sind. Daraus erwächst die Notwendigkeit, über einen neuen Gesellschaftsvertrag nachzudenken, dessen Verteilungs- und Integrationsmechanismen sich auf den Bürgerstatus statt auf den Arbeitnehmerstatus beziehen.


Eva Kocher (Universität Frankfurt/Oder) argumentierte, zwar sei eine Pluralisierung und Zunahme arbeitsrechtlicher Regelungen (und insbesondere jener Rechte, die eine individuelle Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Lebensführung ermöglichten) festzustellen,  die Umsetzung dieser Rechte auf betrieblicher Ebene gestalte sich jedoch oft konfliktreich und werde von unvorbereiteten Betriebsräten und Personalabteilungen verantwortet. Die soziale Wirksamkeit der Ermöglichungsrechte für die Arbeitnehmer sei bislang unklar und bilde daher ein wichtiges Forschungsfeld. Rüdiger Krause (Universität Göttingen) ging auf Leiharbeit als eine zentrale Form der Flexibilisierung von Beschäftigung ein. Dabei machte er den maßgeblichen Einfluss rechtlicher Neuregulierungen deutliche, die erst die Möglichkeiten eröffnet haben, diese Beschäftigungsform von einem ad-hoc-Behelf für unverhoffte Situationen zu einem proaktiven „Instrument der Ungewissheitskontrolle“ aus Sicht der Unternehmen zu entwickeln, die mit einem Mehr an Unsicherheit und deutlicher materieller Schlechterstellung für die betroffenen Beschäftigten verbunden ist. Und er machte die Perspektiven, aber auch die Dilemmata einer Durchsetzung des Equal-Pay-Grundsatzes mit tarifpolitischen Mitteln deutlich. Britta Rehder (Universität Bochum) stellte schließlich die Frage, wie sich der Wandel von Rechtsprechung erklären lasse. Sie stellte Arbeitsgerichte und insbesondere das Bundesarbeitsgericht als politisch steuernden Akteur vor, der einerseits durch die Rechtsprechung gesellschaftsprägend wirke, andererseits jedoch von Gesellschaft geprägt werde. Sie verdeutlichte insbesondere, dass der besondere Status von Arbeitsrecht und Arbeitsgerichten im deutschen Rechtssystem, und damit auch ihre Funktion als Institutionen des Arbeitsnehmerschutzes, einer wachsenden Erosion durch soziale Polarisierungs- und rechtliche Liberalisierungsprozesse unterliege.

Im Zentrum des letzten Panels „Sozialpartnerschaft, Interessen und Teilhabeansprüche im Betrieb“ (Moderation: Martin Kuhlmann, SOFI) stand die Spezifizierung der Umbruchssituation auf den unterschiedlichen Aushandlungsarenen Staat, Tarifautonomie und Betrieb.


Jürgen Kädtler (SOFI) formulierte Thesen zum Umbruch der Sozialpartnerschaft als spezifisch deutschem Modell industrieller Beziehungen. Dieses habe unter gegebenen institutionellen und Arbeitsmarktbedingungen im Kern darauf beruht, dass Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen auf der betrieblichen Ebene in bestimmten grundlegenden Rationalitäts- und Legitimitätsvorstellungen hinreichend übereingestimmt hätten. Unter anderem schloss das die Bestimmung von Rentabilität als „schwarze Zahlen“, aber etwa auch den Zusammenhang von (männlichem) Normalarbeitsverhältnis und Familienernährermodell des Normalhaushalts ein. Dieses sozialpartnerschaftliche Basisarrangement erodiere nach beiden Seiten: als Neubestimmung von Wirtschaftlichkeit über Finanzmarktkennziffern seitens vieler Unternehmen, und als Individualisierung von Teilhabeansprüchen und Ausdifferenzierung von Haushaltskontexten auf Seiten von ArbeitnehmerInnen. In der Konsequenz gebe es eine zunehmende Heterogenität von Arbeitnehmerlebenslagen, die sich aus zwei Quellen speise: Der Unterschiedlichkeit gewählter Teilhabeoptionen und der Spaltung zwischen denen, die in diesem Sinne wählen könnten und denen, die nichts (oder wenig) zu wählen hätten. Herkömmliche Grundnormen standardisierender Regulierung nach dem überkommenen Modell würden aufgebrochen und müssten durch neue spezifischere und heterogenere Regulierungen auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Verhandlungsarenen ersetzt werden. Was dies für die Sozialpartnerschaft bedeute, sei bislang noch offen. Im zweiten Vortrag des Panels diskutierte Thomas Haipeter (Universität Duisburg/Essen) die Frage, ob die kooperative wie effektive beschäftigungspolitische Bewältigung der Finanzmarktkrise seit 2008 als Revitalisierung von Sozialpartnerschaft interpretiert werden könne. Er kam zu dem Schluss, dass dieses deutsche „Beschäftigungswunder“ zwar ohne den Rückgriff auf „alte Tugenden“ nicht möglich gewesen wäre, dass diese temporäre Revitalisierung der Sozialpartnerschaft nichts an der fortwährenden Schwächung der ihr zugrunde liegenden Deutungsmuster, Normen und Machtressourcen ändere. Ein Wiedererstarken von Sozialpartnerschaft sei wohl denkbar, setze aber eine Neujustierung von Machtverhältnissen und Bezugsnormen voraus. Sie werde in diesem Falle dezentraler, konfliktreicher und beteilungsorientierter sein (müssen). Abschließend schlug Stefan Voswinkel (Frankfurter Institut für Sozialforschung) mit einem umfassenden, anerkennungstheoretischen Beitrag den Bogen zurück zur zentralen Fragestellung. Individualisierung, Segmentierung und Flexibilisierung der Anerkennungsverhältnisse führten zu Anerkennungskonflikten auf den Ebenen der Institutionen, des Betriebs und auch innerhalb des Subjekts, die mit vielseitigen und oftmals widersprüchlichen Anerkennungserwartungen und normativen Vorstellungen verbunden seien. U.a. verdeutlichte Voswinkel die Segmentierung der Anerkennungsverhältnisse in Betrieben: während die „Zone der Anerkennung“ durch formalisierte und institutionalisierte Anerkennungsmechanismen für Stammbeschäftigte geprägt sei, blieben Leiharbeiter, befristet Beschäftigte und Aushilfen davon weitgehend ausgeschlossen. Segmentierung von Anerkennung in „Zonen der Anerkennung“ und „Zonen der Missachtung“ sowie ein  Kampf um Anerkennung ließen sich in unterschiedlicher Ausprägung in nahezu allen Arbeitsfeldern finden.


Als Bilanz des Workshops sind vor allem drei Punkte festzuhalten: (1) Das Interesse an einer systematischen Erforschung von neuen Konturen der Arbeitsgesellschaft, die über die lähmende Diagnose einer (seit den 1980ern konstatierten) „neuen Unübersichtlichkeit“ hinaus weisen könnte, ist groß und bislang nicht befriedigt – dafür sprechen weit über 100 Teilnehmende und die überaus lebhaften Debatten dieser beiden Tage. (2) Einigkeit herrscht darüber, dass sich die Arbeitsgesellschaft im Umbruch befindet. Dabei wurden zum einen Phänomene einer allgemeinen Zunahme von Prekarität (im Sinne von Verunsicherung bzw. Standardunterschreitung) thematisiert (etwa in Form der Krise des deutschen Reproduktionsmodells oder der zunehmenden Kontraktualisierung von Arbeitsverhältnissen). Zum anderen wurden Hinweise darauf gegeben, dass wir es derzeit mit der Herausbildung konfliktreicher Spannungen zu tun haben, also mit der Zunahme sozialer Konstellationen, die gegensätzlich, aber direkt miteinander verbunden sind (etwa wenn das Übergangssystem als Instrument dient, um die duale Berufsausbildung für andere Schulabgänger/innen zu stabilisieren, oder die „Zone der Anerkennung“ im Betrieb gegen wechselnde Randbelegschaften verteidigt wird). (3) Zu guter Letzt bestätigte der Workshop die Einschätzung, dass neue Konturen der Arbeitsgesellschaft nur sichtbar werden, wenn wir die lieb gewonnenen Grenzen zwischen verschiedenen Teilen der Arbeitsforschung überschreiten und arbeitssoziologische, bildungssoziologische, arbeitsrechtliche, familiensoziologische oder Industrial Relations-Ansätze systematisch aufeinander beziehen. Dabei, so ein zentrales Ergebnis dieses Workshops, ist ein weites Feld zu beackern: Bei der Frage nach neuen Konturen der Arbeitsgesellschaft geht es um sozialstrukturelle Veränderungen, um brüchige Selbstwahrnehmungen und nicht zuletzt um die Ergründung der Ursachen von Prekarisierung bzw. Polarisierung im Bereich veränderter Lebensentwürfe, Personaleinsatzstrategien und staatlicher Politik. Der Workshop war ein erster Spatenstich – weitere müssen folgen.