Projektinhalt

Die Institutionen des Rechts sind öffentliche Güter, die die Grundlage einer rechtstaatlichen Demokratie bilden. Doch das Recht ist nicht nur Institution oder System, es lebt und wirkt durch seine Repräsentant/innen. Wichtige Akteure sind die Richterschaft und die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Deren Professionsverständnis und Arbeitsethos stehen im Zentrum der qualitativen Studie, die in enger Verbindung mit der niedersächsischen Justiz stattfindet. Besondere Berücksichtigung finden Fragen des Generationenwandels in der Justiz und Perspektiven auf die institutionelle Kultur der Rechtsprechung. Der Titel „Die Hüter von Recht und Ordnung?“ nimmt Bezug auf eine 1969 erschienene rechtssoziologische Studie von Wolfgang Kaupen, die noch heute ein wichtiger Referenzpunkt der Justizsoziologie ist. Das hier vorgeschlagene Projekt greift diese justizsoziologische Perspektive auf, aktualisiert, modifiziert und erweitert sie aber in dreifacher Hinsicht:

  1. Das Projekt zielt auf eine Reaktivierung der rechts- und justizsoziologischen Forschung in zeitdiagnostischer Absicht. Das Recht wird hierbei sowohl in seiner Sicherheits- und Stabilitätsfunktion, aber auch in seinen Verteilungswirkungen und Beschleunigungskräften analysiert. Das Recht wird aus einer handlungs- und konflikttheoretischen Perspektive gedacht. Das Projekt hat sozialtheoretische Ambitionen und ist von Interesse für die sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung.
  2. Das Projekt leistet eine Bestandsaufnahme der Arbeitssituation und Berufsorientierung der Richterschaft und der Staatsanwälte. Ihre Leistungsfähigkeit und ihr Engagement sind für Fragen der Integration und des Zusammenhalts demokratischer Gesellschaften wesentlich verantwortlich. In diesem Kontext wird auch die Attraktivität der Justiz als Arbeitsort zum Thema. Das Projekt leistet eine empirische Bestandsaufnahme der Arbeitswirklichkeit in der Justiz und ist von Interesse für die Justizpraxis.
  3. Dem Projekt geht es um die künftige institutionelle Kultur des sozialen Rechtstaats im generationalen Wandel. Mit welchem „Institutionenverstand“ (Lübbe-Wolff) agieren die Justizjurist/innen und inwieweit prägen sie im Kontext der Verrechtlichung gesellschaftliche Strukturen und Lebensformen. Das Projekt verfolgt zeitdiagnostische Absichten und ist von gesellschaftspolitischer Relevanz.

Im Mittelpunkt der Studie stehen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Niedersachsen (Oberlandesgerichte, Landgerichte, Amtsgerichte und Staatsanwaltschaften). Mit Hilfe offener Leitfadeninterviews und themenzentrierter Gruppengespräche geht das Projekt der Frage nach, in welcher Weise, mit welcher Orientierung und mit welchen Interessen sowohl etablierte als auch dienstjunge Justizjurist/innen ihren Beruf ausüben. Mit welcher Motivation und mit welchen Erfahrungen gelangen Jurist/innen ins Richteramt oder in die Staatsanwaltschaft? Welches professionelle Selbstverständnis und welche Maßstäbe bestimmen ihr Handeln? Wo gibt es Handlungskonflikte? Inwieweit bilden die Jurist/innen ein besonderes Amts- und Dienstethos aus und in welcher institutionellen Kultur der Gerichte und Staatsanwaltschaften bewegen sie sich dabei?