Werkstattgespräch 3/2006

Ostdeutschland – Fragmentierte Entwicklung

TU Berlin, 11./12.April 2006

Seit der »Transformationsforschung« und der Kommission zur »Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern« (KSPW) gilt Ostdeutschland als eine der bestens beforschten Regionen. Trotzdem erscheint der »Aufbau Ost« wie ein Buch mit sieben Siegeln. Täglich lesen wir von guten Beispielen: Betriebe, die erfolgreich am Weltmarkt operieren, deren Umsatz steigt, die schwarze Zahlen schreiben und ihre Belegschaft vergrößern. Über wichtige Infrastrukturprojekte wird berichtet, so von der Eröffnung der Ostseeautobahn. Besucher loben die gelungene Sanierung vieler schöner Altstadtzentren, und Urlauber schwärmen von Kurorten und Schlosshotels.
Zugleich lesen wir Schlimmes: Junge und Alte, die in den Arbeitsagenturen warten. Ingenieure, die für einen Euro die Kippen im Stadtpark aufsammeln. Betriebe im Abwärtstrend, die keine Kredite bekommen. Bevölkerungsverluste, die schwarze Löcher in Dörfern, Städten und Gemeindekassen hinterlassen. Düstere Stimmung im Land, rechtsradikale Jugendliche, die Ausländer und Behinderte bedrohen.

»Fragmentierte Entwicklung« ist die Überschrift, unter der nicht nur das Nebeneinander, sondern die Zusammenhänge von »Licht und Schatten« in der Entwicklung Ostdeutschlands aufgedeckt, diskutiert und für die sozioökonomische Berichterstattung über den Umbruch des deutschen Wirtschafts- und Sozialmodells nutzbar gemacht werden sollen.

Zeigen sich in dem Ineinander von Auf- und Abstieg, Integration und Ausgrenzung, Erfolg und Frustration die unübersichtlichen Muster der dritten Moderne, zu der der Osten spät aufgebrochen ist, in der er aber früher ankommen wird? Oder ringen wir mit den Folgen einer »privilegierten Transformation«? Was lehrt Ostdeutschland über die gesamtdeutschen und europäischen Szenarien des Umbruchs und des Überlebens im Umbruch?

Arbeitslosigkeit in der Größenordnung um zwanzig Prozent hat zu einem eigenen Modus der »unsicheren Erwerbsbeteiligung « geführt. Mehr als ein Drittel der Erwerbsbevölkerung ist »hochflexibel«, wechselt zwischen Beschäftigung und Stütze, Ein-Euro-Jobs und Umschulungen; sie bildet die billige Reserve des marktgerechten Arbeitsangebots. Bricht die Arbeitsgesellschaft auseinander oder durchlebt der Osten die Metamorphose in eine neue Arbeitswelt?

»So weit die Räder rollen« wandern Pendler und Arbeitsmigranten den guten Jobs und Ausbildungsplätzen hinterher. Die Zeit für Kinder und Familien fehlt denen, die nicht sitzen bleiben wollen. Prosperierende Gewerbegebiete und gleich daneben die sozialen Gettos der Überflüssigen – aber auchdie geförderten Projekte der »Raumpioniere»: Fürst-Pückler- Land und Pommerania, Kulturscheunen und »Kunst im Speicherhaus«, Feropolis und Kinderdörfer. Raumordnung ist
die Frage nach einer neuen Ordnung des Sozialen in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft. Abbruch soll auch Aufbruch sein – aber wer kennt die Bedingungen?

Rainer Land (Thünen-Institut)

Beiträge:

  • Rainer Land: Ostdeutschland - Fragmentierte Entwicklung: [PDF]
  • Thomas Hanf: Integrationsdefizite und Handlungsorientierungen: [PDF]
  • Ulrich Busch: Transfergesellschaft Ostdeutschland: [PDF]
  • Joachim Ragnitz: Transfergesellschaft Ostdeutschland (Koreferat): [PDF]
  • Klaus-Peter Buss: Fragmentierung - eine richtige Perspektive?: [PDF]
  • Holger Alda: Sekundäre Arbeitsmarktintegration: [PDF]
  • Friedrich Hauss: Risikolagen im ländlichen Raum: [PDF]
  • Christine Steiner: Demografie und Erwerbseintritt der Jüngeren: [PDF]