Werkstattgespräch 4/2006

Gesellschaft im Betrieb

Zentrale Veränderungen in der Gesellschaft stehen in engem Zusammenhang mit dem Strukturwandel von Arbeit. Und der Ort, an dem dieser Strukturwandel für die Beschäftigten unmittelbar wirksam wird, ist der Betrieb. Für die sozioöko-nomische Berichterstattung ergibt sich hier eine bedeutsa-me Forschungsperspektive, nämlich Gesellschaft »im Be-trieb« zu beobachten. Hier werden ökonomische Strategien konkret und fassbar, hier können ihre Konsequenzen für Arbeit und Lebensweise der Beschäftigten untersucht wer-den. Im Mittelpunkt des Werkstattgesprächs steht die Frage, wie diese Perspektive für die regelmäßige Erfassung und Bewertung des sozialen und ökonomischen Wandels ge-nutzt werden kann.
So entscheidet sich beispielsweise im Betrieb, ob und in welcher Form Beschäftigte eingestellt werden. Im Betrieb werden Aufstiegs- und Qualifizierungschancen angeboten oder verwehrt. Betriebliche Entlohnungspraktiken sind ent-scheidend für den individuellen und familiären Wohlstand. Die konkrete Ausgestaltung von Arbeitszeiten im Betrieb beeinflusst die individuellen Möglichkeiten, Familie, Freizeit und Arbeit in Balance zu halten. Der Betrieb ist zugleich ein sozialer Ort: Das Klima zwischen Kollegen, Vorgesetzten und Kunden kann entscheidend zur Zufriedenheit beitragen oder, wenn es durch starke Konkurrenz und gestörte Kom-munikation geprägt ist, zum Belastungsfaktor in der täg-lichen Arbeit werden.
Betriebe sind eben nicht nur Produzenten von Waren und Dienstleistungen – sie stellen auch den elementaren gesell-schaftlichen Ort dar, an dem Erwerbsarbeit organisiert wird und Beschäftigte in ein Sozialgefüge integriert werden. Sie sind für Individuen die zentrale Vermittlungsinstanz zum Arbeitsmarkt und zu den Systemen der sozialen Sicherung. Gesellschaft wird insofern auch – und ganz wesentlich – im Betrieb gemacht.
Doch der Betrieb ist selbst keine überhistorische Größe, er ist weit reichenden Veränderungen unterworfen: Betriebe sind heute eingebunden in komplexe Konzernstrategien und Wertschöpfungsketten, die einer beständigen Reorga-nisation unterliegen. Netzwerkbildung, Offshoring und Out-sourcing, fortschreitende Internationalisierung und Infor-matisierung verändern die Charakteristik, aber auch die Handlungsmöglichkeiten und die »Strategiefähigkeit« auf betrieblicher Ebene. Als zentrale Merkmale des fordistischen Betriebes galten Stabilität und Berechenbarkeit, heute dage-gen scheint der permanente Wandel zur neuen Stellgröße der betrieblichen Lebenswelt zu werden.
Damit ist Arbeit am Begriff im Spiel: Kann man heute noch im selben Sinn von »Betrieb« sprechen, wie das in den 60er Jahren der Fall war? Thema des Werkstattgesprächs werden daher auch Möglichkeiten einer theoretischen Reformulie-rung des Betriebskonzepts selbst sein.

Andreas Boes, Anne Hacket, Nick Kratzer

Beiträge:

  • Anne Hacket: Einführung: [PDF]
  • Andreas Boes, Anne Hacket: Bringing the Firms Back In: [PDF]
  • Dieter Sauer: Reorganisation des Unternehmens: [PDF]
  • Martin Kuhlmann: Reorganisation von Arbeit: [PDF]
  • Christoph Köhler, Olaf Struck: Beschäftigungsverhältnisse: [PDF]
  • Holger Alda: Betriebe und Arbeitseinkommen: [PDF]
  • Nick Kratzer: Zeit im Übergang: [PDF]
  • Tatjana Fuchs: Qualität der Arbeit: [PDF]
  • Tatjana Fuchs: Gute Arbeit: [PDF]
  • Peter Ellguth: Betrieb und Arbeitsbeziehungen: [PDF]
  • Klaus Dörre: Fragmentierte Arbeitsbeziehungen: [PDF]
  • Volker Baethge-Kinsky: Arbeiten und Lernen: [PDF]
  • Rainer Land: Ostdeutschland: [PDF]
  • Boy Lüthje: Bloody Fordism?: [PDF]